Würzburg: Nach Messerattacke - offener Brief des Oberbürgermeisters
Liebe Würzburgerinnen, liebe Würzburger,
ich habe gestern Abend geweint. Geweint um die Opfer und die Angehörigen. Um die Menschen, die an einem friedlichen und schönen Sommerabend jäh überfallen wurden, überrascht wurden und mit einer Stichwaffe getötet oder verletzt wurden. Von Augenzeugen habe ich mich über die Bilder des Schreckens und Grauens informieren lassen, die sich geboten haben.
Im weiteren Verlauf waren es Passanten, Menschen mit Zivilcourage, die sich unter Gefahr für ihren Leib und ihr Leben dem Täter entgegengeworfen haben. Sie haben unabgesprochen und spontan gemeinsam gehandelt. Es hat mich an die Bilder in Nizza erinnert als ein Mann neben dem LKW herlaufend versucht hat, eine Amokfahrt zu stoppen.
In der Tat, es sind diese Bilder und Parallelen, die diese Bluttat auch für unsere Stadtgesellschaft so gefährlich machen. Der Jahrestag des Axtattentats von Heidingsfeld jährt sich am 18. Juli zum fünften Mal. Ich war in jener Nacht auch draußen bis in die frühen Morgenstunden und gestern auch wieder bis nach Mitternacht am Tatort und am Wohnheim des Täters. Die Bilder, der Täterhintergrund, der mögliche Ruf Allahu Akbar, Gott ist am Größten, wecken Parallelen.
Ich habe gestern Abend aber auch um unsere Stadt geweint. Weil dieser Kurzschluss, dieses Gleichsetzen so naheliegend ist. Geflüchteter, Zuwanderer, Gewalttäter, Glaubenskrieger und Terrorist – Massaker. Und dennoch – nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich. Die Aufklärung solcher Fälle bedarf einiger Polizeiarbeit, aber das Verbrechen wird – und das verstehe ich – heute bereits zugeschrieben.
Die Verbrechen Einzelner sind aber niemals auf Bevölkerungsgruppen, Religionen, Staatsangehörigkeiten zurückzuführen. Auch wir Deutsche wurden nach dem Zweiten Weltkrieg nicht pauschal verurteilt. Genauso wenig gilt dies jetzt für Somalier oder generell Geflüchtete. Dieses Schubladendenken muss ein Ende haben. Und gleichzeitig wird es kein Ende haben. Dies ist meine moralische Forderung, mein Wunsch an die Gesellschaft von der ich weiß, dass er nicht in Erfüllung gehen kann. Denn wie würden Sie sich heute als Ausländer in unserer Stadt fühlen?
Umso mehr muss die Aufklärung, das Dagegen-Arbeiten in diese Richtung Gegenstand unseres gesellschaftlichen Bemühens sein, um ein friedliches und ein selbstbestimmtes Dasein eines jeden Einzelnen zu ermöglichen, der ja auch wieder irgendeiner Gruppe zuzurechnen ist. Bei Sartre heißt es so schön „L’enfer c’est les autres“, die Hölle, das sind die anderen. Wir können unser irdisches Dasein zur kollektiven Hölle oder zum Paradies auf Erden machen. In der Geschichte war es nie vollständig das Eine oder das Andere. Aber das Pendel, das müssen wir nach Kräften bewegen. In die richtige Richtung.
Unser Denken, unser Mitfühlen ist heute bei den Opfern und deren Angehörigen. Unser Dank richtet sich an alle die Gutes versuchen, die couragierten Bürger, die sich den Attentätern entgegengeworfen haben, die Rettungskräfte, die Polizeibeamte, die so schnell vor Ort waren, die Bürgerinnen und Bürger, die Blumen niederlegen oder ihre Empathie mit den Opfern zeigen und an Sie, die Sie sich hier und heute für das Bewahren des Friedens in unserer Stadtgesellschaft einsetzen.
Ihr Christian Schuchardt
(Dieser Brief ist in Originalform veröffentlicht.)